Es gibt mittlerweile unzählige verschiedene Tanzstile. Ihnen gemeinsam ist, dass mit Bewegungen des Körpers eine Botschaft vermittelt werden soll – man will den Zuschauer berühren, etwas in ihm auslösen. Klassisches Ballett ist ein Stil, der allgemein bekannt ist. Die Tänzer*innen sind mit ihrer Eleganz und Körperbeherrschung wunderschön anzusehen. Der Contemporary Dance übernimmt diese Eleganz des klassischen Balletts, fügt aber dem Tanz mehr Ausdrucksstärke hinzu. Das ist interessant und inspiriert immer mehr Leute dazu, den Contemporary Dance selbst auszuprobieren.
Ruth Pichler ist 55 Jahre alt, kommt aus Graz und ist seit Jahrzehnten begeisterte Dozentin für Contemporary Dance. Sie promovierte als Betriebswirtin, was sie zwar nur als ihr “Brotstudium” bezeichnet, ihr aber in den Jahren der Selbständigkeit mit eigenem Tanzstudio sehr nützlich war. Zudem absolvierte sie eine tanzpädagogische Ausbildung mit praktischen und theoretischen Fächern (Ballett, moderne Tanzrichtungen, Tanzgeschichte, Pädagogik und Anatomie). Im zweiten Bildungsweg erarbeitete sie sich ein Diplom im Fach “Regie” in Berlin – an einer Schauspielschule mit öffentlich rechtlich anerkanntem Abschluss. Diese Ausbildung war ihr großes „Wunschprogramm“, denn das Aufführen und dramaturgische Aufbereiten interessierte sie schon immer – egal, ob mit Sprache oder dem Körper gearbeitet wird.
Ruth hatte in irgendeiner Weise mit Tanz zu tun, seit sie sich erinnern kann. Die einzige Unterbrechung war eine Phase vor etwa zehn Jahren, in der sie mehr im Schauspielbereich tätig war. Aber auch das war ein Lernprozess, der ihr in ihrer jetzigen Tätigkeit als Dozentin und Choreografin zugute kommt.
Heute leitet sie Kurse, die in den Betrieb einer Ballettschule eingebunden sind. So gut wie an jeder Ballettschule des 21. Jahrhunderts wird hier moderner Tanz unterrichtet. Dieser ist auch auf der Bühne dem klassischen Ballett, was die Häufigkeit der Aufführungen betrifft, mittlerweile ebenbürtig und an Ausdruckskraft sogar überlegen. Darüber hinaus bildet Ruth sich sehr regelmäßig fort und nimmt selbst an verschiedenen Tanzworkshops teil. Ihre Liebe gehört auch immer noch dem Theater – als gelernte Regisseurin besucht sie sehr gerne Aufführungen im Bereich des Sprechtheaters.
Ich tanze bereits seit meiner Jugend. Zuerst natürlich klassisches Ballett, doch tatsächlich „Feuer gefangen“ habe ich erst, nachdem mich eine Gymnasialkollegin zu einer Jazzdance-Stunde mitgenommen hat. Von da an tanzten und übten wir – auch in den Pausen in der Schule und im Turnunterricht. Nach einem Jahr in den USA, wo moderner Tanz auch an der Universität unterrichtet wurde, war mein Entschluss gefasst, diese Form des Tanzes in meine Heimatstadt Graz zu bringen. Mit meinem Tanzstudio „Motion“ war ich so was wie die Pionierin des modernen Tanzes. Gleiches galt für andere Tanzrichtungen wie HipHop, Flamenco oder Irish Step, die sich als Unterrichtsgegenstände im Laufe der 80er und 90er Jahre erst langsam in Österreich etablierten.
Für mich blieb der der moderne Tanz, beziehungsweise Contemporary Dance die Ausdrucksform der Wahl – denn hier paart sich die Eleganz des klassischen Balletts mit der Ausdrucksstärke der modernen darstellenden Kunst.
Das wesentlichste Unterscheidungsmerkmal des modernen Tanzes zu anderen Tanzstilen ist der „Flow“ – das bedeutet, dass Bewegungen ineinander fließen. Durch die Ausnutzung des Fallenlassens der schweren Körperteile (Kopf und Hüfte) wird ein scheinbar müheloses Gleiten über die Tanzfläche möglich, indem der Rest des Körpers einfach der Schwerkraft folgt. Dadurch sind auch Bodenfiguren in die Choreografie integrierbar, sowie Drehungen, die dem einmal gegebenen Impuls folgen. Contemporary Dance erfordert Übung, denn ein simples Auswendiglernen aneinander gereihter Bewegungen reicht nicht aus. Die Ausdruckskraft wird noch verstärkt, weil auch „hässliche“ Bewegungen erlaubt sind, und so das Spektrum der tänzerischen Möglichkeiten erweitert wird.
Die Tanzeinheit besteht aus einem Aufwärmen im Stand oder im Raum und einer Choreografie. In der fortgeschrittenen Choreografieklasse werden die Aufwärmsequenzen auch als Choreografieteile verwendet und in einer zweiten Phase aneinandergereiht. So entsteht eine eigene Aufwärmchoreografie. Lockere Trainingsbekleidung, Socken oder Stoffschläppchen sind zum Kurs mitzubringen. Die wenigsten Tänzer und Tänzerinnen schaffen es barfuß, denn spätestens bei den Drehungen können an unseren „schuhgewohnten“ Fußsohlen Blasen auftreten.
Der Anfängerkurs richtet sich an alle bewegungsfreudigen Menschen, die gerne einmal etwas Neues ausprobieren wollen – allerdings nur für Jugendliche und Erwachsene. Hier gehe ich davon aus, dass Rhythmusgefühl und Koordinationsvermögen da sind, aber keine tänzerischen Vorkenntnisse. Für den Fortgeschrittenenkurs sind Vorkenntnisse im Ballett, Jazz- oder Moderndance erforderlich. Was den Preis anlangt, richte ich mich nach der Preisstaffelung unserer Ballettschule und ihrer anderen Kurse. Wobei der Spielraum angesichts vieler konkurrenzierender Freizeitangebote im Erwachsenenbereich ohnehin nicht sehr groß ist. Einzelne Einheiten kosten relativ mehr als das Buchen eines ganzen Kurses.
Jeder kann Tanzen lernen. Es ist egal wie alt man ist oder wieviel Erfahrung man mitbringt. Die Auswahl an unterschiedlichen Richtungen mag schwierig sein, doch gibt es oft die Möglichkeit, in Kurse reinzuschnuppern. So findet man sicher einen Tanzstil, der einen begeistert. Bei Ruth Pichler war das der Contemporary Dance. Durch seine Ausdrucksstärke und Eleganz können zahlreiche Emotionen vermittelt werden. Das Erlernen einer Choreografie umfasst daher mehr als das Auswendiglernen von Bewegungsabläufen. Dies ist eine spannende Erfahrung.